Niemals vergessen – gemeinsam gedenken

30.01.2023 | Aktuelles, Allgemein, Geschichte, Kultur, Veranstaltungen

Jeanette Hoffmann erinnert am Stiftischen Gymnasium an das Schicksal ihrer Mutter Erna Hoffmann und an die Frauen im Block 10 des Konzentrationslagers Auschwitz

Der 27. Januar ist ein Datum mit besonderer historischer Bedeutung: An diesem Tag wird heute im Zusammenhang mit der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, die am 27. Januar 1945 durch sowjetische Rote Armee erfolgte, weltweit an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Am Vortag des internationalen Holocaust-Gedenktags 2023 besuchte Jeanette Hoffmann das Stiftische Gymnasium, um insbesondere vom Leben und Leiden ihrer Mutter Erna Hoffmann zu berichten. Jeanette Hoffmann ist seit mehr als 70 Jahren Mitglied der Synagogengemeinde zu Köln. Ihre Mutter, Erna Hoffmann, und ihr Vater, Herbert Hoffmann, waren Auschwitz-Überlebende.

Jeanette Hoffmann (3. v. li.) berichtet am Stiftischen Gymnasium über ihre Mutter Erna Hoffmann und die Frauen von Block 10 im Konzentrationslage Auschwitz.

Wie bereits in den letzten beiden Jahren wurde die Gedenkveranstaltung wieder als deutsch-israelisches Gemeinschaftsprojekt durchgeführt. Während eine Schülergruppe des Stiftischen Gymnasiums sowie einige angemeldete Gäste im Musikraum der Schule präsent waren, hatten israelische Schülerinnen und Schüler der Nesher High School im Norden Israels und weitere Teilnehmer die Möglichkeit, online teilzunehmen und auch Fragen an die Referentin zu stellen.

Zu Beginn begrüßte Dr. Thomas Rubel als stellvertretender Schulleiter Frau Hoffmann und ihre Freundin Frau Hallerbach sowie die Teilnehmer der Veranstaltung, darunter den inzwischen in den USA lebenden Or Mordo, der in den vergangenen beiden Jahren die Gedenktage von Nesher aus organisiert hatte. Für die israelische Seite sprach nun zu Beginn die Lehrerin Orna Teneh ein Grußwort. Die Übersetzung der einzelnen Beiträge aus dem Englischen bzw. ins Englische übernahm Luise Traxel.

Moderator Dr. Achim Jaeger dankte zunächst Gabriele Bröcker für die Unterstützung bei der Kontaktaufnahme zu Jeanette Hoffmann und begrüßte auch deren online teilnehmenden Sohn André. Dann stellte er dem Plenum Jeanette Hoffmann vor, die in Berlin-Schöneberg geboren wurde. Als Überlebende der Shoah fassten ihre Eltern den Entschluss von Berlin, wo sie sich auch kennengelernt und 1935 geheiratet hatten, mit ihrer Tochter Jeanette nach Israel auszuwandern und lebten drei Jahre in Gdera. Anfang der fünfziger Jahre ließ sich die Familie dann in Köln nieder. Nach Absolvierung der Schulzeit in Köln machte Jeanette Hoffmann eine Ausbildung und wurde Buchhalterin bei einer Kölner Privatbank. Sie wohnte viele Jahre in ihrem Elternhaus in Köln und arbeitete die letzten zwanzig Jahre ihres Berufslebens als Buchhalterin im bekannten Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch.

Die Eltern wurden am 29. Juni 1943 aus ihrer Wohnung geführt und in das Berliner Sammellager in der Hamburgischen Straße gebracht, von hier aus mit dem 39. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort getrennt. Ihre Mutter, Erna Hoffmann, die aus Behrend/Ostpreußen stammte, wurde nach ihrer Deportation in den sogenannten Block 10 im Konzentrationslager Ausschwitz gebracht. Hier wurden medizinische Versuche an jüdischen Frauen durchgeführt, unter anderem solche, die zur Unfruchtbarkeit führen sollten. Der Gynäkologe Carl Clauberg nahm als SS-Arzt an hunderten Frauen, die im KZ inhaftiert waren, Zwangssterilisationen vor.

Der Tübinger Professor Hans-Joachim Lang hat in seinem Buch „Die Frauen von Block 10“, das erstmals 2011 erschien, die medizinischen Versuche und das Schicksal der betroffenen Frauen ausführlich dokumentiert. Als Jeanette Hoffmann auf das Buch aufmerksam wurde, nahm sie persönlichen Kontakt zu dem Wissenschaftler auf, der ihr auch Dokumente zugänglich machte, die sie bisher nicht kannte, so etwa eine Zeugenaussage ihrer Mutter, in der diese später vor Gericht die an ihr begangenen Experimente beschrieb. Auf Einladung der jüdischen Gemeinde referierte Professor Lang auch 2019 in Köln aus seinem Buch.

Jeanette Hoffmann berichtete ausführlich über die Methoden zur Sterilisierung, die an ihrer Mutter und weiteren Frauen versuchsweise erprobt worden waren. Sie erzählte auch davon, dass Erna Hoffmann, Ilse Nussbaum und Ruth Dattel, die damals ihren kleinen Sohn Denny bei sich hatte, ihr ganzes Leben lang befreundet blieben. Erna Hoffmann überstand den Todesmarsch von Auschwitz nach Bergen-Belsen, wo sie im April 1945 von britischen Soldaten befreit wurde.

Obwohl Erna Hoffmann vom Roten Kreuz darüber informiert worden war, dass ihr Ehemann verstorben sei, machte sie sich auf nach Berlin, wo die beiden sich nach Ende des Krieges treffen wollten. So kamen die Eltern an einem Ort in Berlin wieder zusammen, den sie vor ihrer Trennung verabredet hatten. Da die Sterilisationsversuche bei ihrer Mutter wirkungslos blieben, kam Jeanette Hoffmann 1946 zur Welt. So habe, sagte sie ergriffen, ihre Mutter letztlich gegen den Verbrecher Clauberg gesiegt.

Der emotionale Bericht und die persönliche Begegnung beeindruckten die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zutiefst. Schülerinnen und Schüler aus Israel hatten die Möglichkeit, erste Fragen an Jeanette Hoffmann zu stellen, die diese ausführlich beantwortete. Alsdann konnten die im Musiksaal anwesenden Schülerinnen und Schüler ihre Fragen stellen oder bestimmte Aspekte im Gespräch vertiefen. Am Ende wurde Frau Hoffmann gegenüber nochmals tiefe Dankbarkeit dafür bekundet, dass sie der Einladung an das Stiftische Gymnasium nachgekommen war und auf so berührende Weise an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnerte, denen ihre Mutter, die Frauen in Block 10 des KZ Auschwitz und viele andere zum Opfer fielen.

Fotos: Leon von der Weiden. Die Fotos sind zur kostenlosen Nutzung freigegeben.

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