Was tun im Lockdown? Einen Roman schreiben!

7.05.2021 | Aktuelles, Allgemein, Deutsch, Kultur, Literatur

Schule zu, das Training im Sportverein fällt aus, die Proben im Orchester ebenso und Freundinnen treffen darf man auch nicht. Was macht man also mit all der Zeit? „Einen Roman schreiben, das wollte ich ja schon immer machen“, dachte sich Kira Vespermann aus der 9c und nutzte so die Zeit sehr produktiv. Einen Auszug ihres Fantasyromans mit dem Arbeitstitel „Beside us“ findet ihr nun hier auf der Homepage. Viel Freude beim Lesen!

Foto: Renate Vespermann

 

Chloe

Suchend blickte ich mich um. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich die Bibliothek gefunden hatte, denn ich war seit meiner Ankunft noch nicht einmal hier gewesen. Wieso auch? Es gab keine Tests im ersten Jahr und wir hatten schließlich Schulbücher für unsere Fächer, in die wir schon selten genug reinschauten – zumindest ich. Es roch ein wenig modrig und feine Staubkörner wirbelten wild in der Luft umher, sobald ich mich bewegte, sodass ich augenblicklich anfangen musste zu niesen. Na toll!

Um diese Uhrzeit war die Bibliothek verlassen und eine erdrückende Stille umgab sie. Es brannte nicht mal ein Licht, sodass ich mir mit meinem Handy den Weg leuchten musste und inständig hoffte, dass ich aus diesem Labyrinth aus Büchern irgendwann noch einmal herausfinden würde. Ich bewegte mich nur langsam vorwärts, denn die alten Holzdielen unter meinen Füßen knarzten bedrohlich. Ich versuchte mich abzulenken, indem ich daran dachte, wie ich Taylor – meine beste Freundin – zurückgewinnen konnte.

Der Abend war nicht gut verlaufen, denn sie war weder in unserem Zimmer gewesen noch an irgendeinem anderen Ort, an dem ich nach ihr gesucht hatte. Also hatte ich in unserem Zimmer gesessen und nachdenklich auf mein Handy geschaut, um mich ein wenig davon abzulenken, dass das alles meine Schuld war. Eine Welle der Erleichterung überkam mich, als ich ein Licht am anderen Ende des Ganges entdeckte. Ein älterer Mann saß  an einem gigantisch großen Schreibtisch und blätterte gedankenverloren in einem dicken Buch.

Vorsichtig trat ich näher. Als der Mann mich bemerkte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Ah, du musst Chloe sein. Hallo meine Liebe.“, er kam auf mich zu und schloss mich in seine Arme. Überrascht von seiner Herzlichkeit erwiderte ich die Umarmung. „Hallo Mr Abraham.“, brachte ich nach einer Weile hervor. Er lächelte mich freundlich an und deutete mir an, mich ihm gegenüber hinzusetzen. „Aber Liebes, bitte nenn mich Jess.“

Ich nickte schüchtern. Jess war wirklich sehr nett. Sofort begann er in den vielen Büchern, die kreuz und quer auf dem Tisch verteilt lagen, wahllos herumzublättern. Ich traute mich nicht irgendetwas zu sagen, bis er nach einer gefühlten Ewigkeit anscheinend endlich das gefunden hatte, wonach er die ganze Zeit gesucht hatte. „Ah, hier ist es!“, rief er erfreut und legte das Buch in die Mitte des Tisches, sodass auch ich den Inhalt der Seiten sehen konnte.

Neugierig beugte ich mich über den Tisch. Das Buch zeigte eine Landkarte, auf der mit roten Linien aus Filzstift bestimmte Routen markiert waren. Nachdenklich fuhr ich sie mit dem Finger nach. „Weißt du, was das ist?“, Mr Abraham – Jess – sah mich interessiert an und legte den Kopf schief. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe keine Ahnung … Um ehrlich zu sein, habe ich auch keine Idee, warum ich überhaupt hier bin.“ Ich sah ihn mit einem scheuen Lächeln an – das ich so gar nicht von mir kannte – und hoffte, dass ich ihn mit meinen Worten nicht verärgert hatte.

Er schien das zu bemerken und schüttelte nur verständnisvoll den Kopf. „Keine Sorge meine Liebe. In den dreiundfünfzig Jahren, in denen ich jetzt schon an dieser Schule unterrichte, ist das nicht das Merkwürdigste, was mir untergekommen ist. Glaub mir, manchmal verstehe auch ich nicht alles, was die hier tun. Aber du kannst mir glauben, sie machen nichts davon ohne Grund. “, er lachte leise und schaute mir geradewegs in die Augen. Ein Schauer jagte mir über den Rücken, denn ich hatte das Gefühl, dass Jess bis auf den Grund meiner Seele blicken konnte.

„Wirklich?“, ich sah ihn überrascht an. Ich wollte nur irgendetwas sagen, um mich von dem merkwürdigen Gefühl abzulenken, das ich gerade empfunden hatte. Er nickte. „Als Anführer von Gut oder Böse hat man es nicht leicht. Du musst deine Leute gewissenhaft lenken und beachten, dass sich Darks und Lights nicht gegenseitig vernichten. Ich weiß noch, vor genau fünfzig Jahren habe ich genau auf diesem Stuhl gesessen und ihm alles Nötige beigebracht, so wie dir jetzt.“, er lachte heiser, „ja, da war ich noch etwas jünger als heute – und naiver.“, fügte er leise hinzu. „Ley Zackanovic ist sein Name, er war ein toller Junge, aber man muss bei ihm gut aufpassen.“

Ich musste grinsen. „Dann ist er bestimmt jetzt schon sehr alt, nicht? Ich meine, wenn Jean und ich in fünfzig Jahren unsere Aufgabe abgeben werden, werden wir achtundsechzig Jahre alt sein.“ Bei der Vorstellung drehte sich mir der Magen um. Jetzt war es Jess, der mich überrascht anschaute. „Hat man dir denn gar nichts erzählt?“

„Was soll man mir denn erzählt haben?“, ich sah ihn fragend an. Vielleicht war es ganz gut, dass ich hier war. Es war vielleicht möglich, ein paar Antworten aus ihm herauszubekommen, da er nicht so recht zu wissen schien, was ich wissen durfte und was nicht. „Wenn wir uns in fünfzig Jahren zu der Zeremonie wiedersehen, wenn du deine Kräfte dem nächsten Anführer übergibst, dann wirst du kein Stück gealtert sein.“ Ich wollte ihn fragen, warum zum Teufel mir noch niemand davon erzählt hatte, doch ich brachte nur ein klägliches Quietschen hervor.

Mir wurde schlecht und ich fühlte mich wie im falschen Film. Sollte das heißen, dass ich fünfzig Jahre lang achtzehn blieb? Die Vorstellung war anfangs cool, aber ich hatte genug Filme dieser Art gesehen, um zu wissen, dass das Gegenteil der Fall war. Ich würde meine Freunde, Familie und alles, was mir wichtig war, verlieren. Ich fing an zu zittern und schaute Jess direkt in die Augen, während ich ihm meine Frage stellte. Ich hatte Angst vor dem, was er antworten könnte, denn dann wurde es allgegenwärtig.

„Also ist Ley Zackanovic … ?“ Es bildete sich ein Kloß in meinem Hals und ich musste mitten in meiner Frage abbrechen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. „Ja, er ist immer noch achtzehn, in deinem Alter, Chloe.“ Eins, zwei … drei. Ich versuchte mich zu beruhigen. Kontrolliert ließ ich meinen Atem ausweichen und legte meinen Kopf in den Nacken. „Was bedeutet das für mich? Werde ich ihn irgendwann sehen?“, ich sah ihn an und hoffte sehnlichst, er würde es verneinen. Die Vorstellung, einen achtundsechzig Jahre alten Teenager zu sehen, bereitete mir ungefähr so viel Angst, wie selbst bald einer zu sein.

„Ja, wenn du deine Zeremonie hast.“ Er sagte diese Worte so selbstverständlich, als ob es keinen Zweifel daran geben würde. Verwundert erhob ich mich vom Stuhl und stützte mich mit den Händen auf dem Tisch ab. Die grobe Oberfläche des Holztisches bohrte sich spitz in meine Arme, doch ich ignorierte den Schmerz. „Bei meiner was?“, fragte ich ihn ungläubig. „An deinem achtzehnten Geburtstag gibt es ein Treffen zwischen dir und Ley. Die Regeln schreiben vor, dass ihr euch bei den Händen nehmt und er dir seine restlichen Kräfte überträgt.“ Ich schnaubte ungläubig. Für mich klang das ein wenig unglaubwürdig.

„Und was ist, wenn er nicht kommt?“ „Er wird kommen. Andernfalls werden seine Kräfte ihn nach seiner Zeit als Anführer überwältigen und er wird …“, er sah mich eine Weile lang nachdenklich an, bevor er seinen Satz beendete, „sterben.“ Meine Kinnlade klappte runter. Ich fuhr mir fassungslos mit meinen Händen durch die Haare. „Werde ich ihn vorher treffen?“ „Um Gottes Willen, nein!“, er lachte laut, sodass der Staub auf den Regalen um uns herum aufwirbelte. Ich musste erneut niesen. „Wieso ist das denn so lustig?“ Ich sah ihn verständnislos an. So abwegig war meine Frage doch gar nicht.

„Chloe.“ Jess sah mich mahnend an. Mir wurde flau im Magen. Wenn er ernst wurde, war das kein gutes Zeichen, es musste wirklich wichtig sein. „Du darfst ihm unter keinen Umständen begegnen. Er ist gefährlich und treibt gerne Spielchen. Das hat er schon getan, als er noch zur Schule ging. Und glaub mir, wenn jemand so etwas kann, dann er. Sei auf der Hut, er wird versuchen dich zu treffen und auf seine Seite zu ziehen. Pass bitte auf dich auf. Deshalb ist es auch so wichtig, dass du unter keinen Umständen die Schule verlässt. Hier bist du sicher.“ Er drückte aufmunternd meine Hand, doch ich war wie betäubt.

Wie konnte ich nur so blind gewesen sein? Ich hatte mich mehr als einmal außerhalb der Schule aufgehalten und ich war unzähligen Leuten begegnet. Es konnte jeder sein, aber das konnte ich Jess schlecht sagen. Wenn mir allerdings niemand etwas sagte, dann war es genau genommen auch nicht meine Schuld. Trotzdem half mir das reichlich wenig, denn immerhin ging es hier um mich … und Jean. Ihn hatte ich da mit reingezogen. Ich Idiotin! „Was für eine Seite?“, fragte ich zögernd. „Die Seite der Darks.“ Jess seufzte. „Die dunklen Mächte sind gefährlich, wenn du ihnen zu viel deiner Zeit widmest, Chloe.“ Er hob sein Gesicht und schaute mich traurig an.

„Du darfst dich nicht in ihren Bann ziehen lassen, bitte versprich mir das!“ Er sah mich eindringlich an. Ich nickte benommen. „Die roten Linien sind die Routen, die Ley in letzter Zeit zurückgelegt hat. Na ja, die, von denen wir  wissen.“, fügte er kopfschüttelnd hinzu. Er hatte sich wieder dem Buch zugewandt und war ganz in dessen Inhalt vertieft. Für ihn war dieses Thema anscheinend beendet.

„Komm mal her.“ Auffordernd winkte er mich nach einer Weile zu sich herüber und ich ging einmal um den Tisch herum, um die beste Sicht auf das zu haben, was er mir zeigen wollte. Interessiert blickte ich auf die Karte. Die Academy war mit einem schwarzen Kreuz markiert. Der Rest zeigte eine normale Weltkarte in Farbe. „Siehst du, wo Lay sich aufhält?“, fragend zog er eine Augenbraue hoch.

Angestrengt versuchte ich aus den wilden Linien und Pfeilen schlau zu werden. Es verging eine halbe Ewigkeit, bis mich endlich eine Erkenntnis traf, doch als ich auf die Uhr an der Wand blickte, war kaum mehr als eine Minute vergangen. Dass ich die Zeit kontrollieren konnte, machte mich echt fertig. Ich wusste nie, wann und wie ich sie verstellen würde, aber mir wurde gesagt, dass sich das ab meinem achtzehnten Geburtstag ändern würde, da ich ab diesem Zeitpunkt zusammen mit Jean Anführer wurde.

„Er hält sich eigentlich überall auf, aber er war für kurze Zeit auf dem Festland in Kalifornien und dann auf dieser Insel – Santa Catalina. Er hat sich hier lange aufgehalten, rund um die Schule, den Strand und so weiter.“ Jess schüttelte den Kopf. „Nein, er war nicht hier – er ist hier. Er verfolgt dich.“ Er schaute mich besorgt an. „Und was soll ich jetzt machen?“ Ich sah ihn panisch an.

„Nichts.“ Jess schlug mit einem lauten Knall das Buch zu, sodass der Staub um ihn herum wild aufwirbelte und ich erschrocken zusammenzuckte. Schon wieder kribbelte der Staub provokant in meiner Nase. „Nichts?“, fragte ich fassungslos. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Ich würde nicht tatenlos hier herumsitzen, wenn jemand vor den Schultoren auf meinen Tod wartete. Jess seufzte. „Ley ist ein wirklich netter Junge, Chloe. Aber er ist unberechenbar und kann wirklich gefährlich werden. Ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass du die Schule schon mehrmals verlassen hast.“ Beschämt schaute ich auf den Boden. Ich fühlte mich richtig schlecht.

„Ich kenne das noch von Ley.“ Er setzte ein verschmitztes Lächeln auf. „Deshalb steht eins fest: Wenn er dich hätte töten wollen, dann hätte er das bereits getan. Das hat er nicht, also hat er etwas mit dir vor. Sei aber auf der Hut. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann würde er über Leichen gehen, um seinen Willen zu bekommen. Egal was er tut, er hat immer einen Plan. Nichts und niemand kann ihn aufhalten. Und glaub mir, er will DICH, auf seiner Seite.“

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