Es war ein besonderer Tag für den Autor und sein Publikum. Bereits kurz nach seiner Ankunft in Düren berichtete Feridun Zaimoglu am 2. März 2023 einer Schülergruppe, die sich aus drei Leistungskursen der Fächer Deutsch und Geschichte der Jahrgangsstufe Q2 und Q1 zusammensetzte, über seinen neuesten Roman und dessen Entstehungsgeschichte. In „Bewältigung“ geht es um einen Autor, der den Versuch unternimmt, ein Buch über Adolf Hitler zu schreiben und diesen dabei gleichsam aus einer Innenperspektive zu porträtieren. Die literarische Figur des Autors sei dabei durchaus mit der Person Feridun Zaimoglu gleichzusetzen, gesteht der Schriftsteller den interessierten Jugendlichen.
Er habe tatsächlich während seiner Recherche Reisen nach Bayreuth, München, Dachau und zum Obersalzberg unternommen. Unzählige Bücher habe er über die Zeit des Nationalsozialismus gelesen, Quellen studiert, Berichte von Opfern rezipiert, Gespräche geführt. Es sei eine zunehmend herausfordernde Aufgabe gewesen, diesen Roman zu Papier zu bringen – wobei er sich die ungeheuerliche Aufgabe ja selbst gestellt habe. Die Abgründigkeit der dunklen Geschichte, in die er eingetaucht sei, habe ihren Tribut gefordert, viel Kraft gekostet.
Das Projekt sei in Bezug auf die sprachliche und inhaltliche Gestaltung fordernd gewesen, eine fertiggestellte erste Version des Romans wurde schließlich verworfen. Es galt alsdann, eine andere Perspektive, einen anderen Erzählton zu finden. Motivierend für ihn sei während des gesamten Schreibprozesses – wie es auch zu Beginn des Romans heißt – stets gewesen, begreifen zu wollen. Immer deutlicher habe er gespürt, wie sehr die Opfer des Nationalsozialismus heute fehlen. Der millionenhafte Verlust schmerze ihn sehr.
Auch in einem weiteren Werkstattgespräch mit einem Deutsch-Leistungskurs der Jahrgangsstufe Q1 erläuterte Feridun Zaimoglu seine Zielsetzungen und seine Arbeitsweise an dem neuen Roman. Unprätentiös und sympathisch nahm er Fragen der Schülerinnen und Schüler auf, führte aus, wie er an seiner Schreibmaschine arbeite und den Text intensiv gestalte. Die Frage, ob ihn die Arbeit an diesem Buch sehr belastet habe, bejahte er. Zudem habe er in „Bewältigung“ auch eigene Erfahrungen in den Text einfließen lassen und sei in Gefahr geraten, die Kontrolle über sein Projekt und langsam auch über sich selbst zu verlieren. Die Arbeit an diesem Roman habe ihn körperlich ausgelaugt.
Am Abend las Feridun Zaimoglu in der „Stifteria“ dann Passagen aus „Bewältigung“. Auf eindrückliche Weise zog er sein Publikum in den Bann, präsentierte wortgewandt und mit kritischem Blick auf die Gesellschaft Szenen aus seinem neuen Werk, beispielsweise einen Aufenthalt Hitlers in Bayreuth, bei dem dieser Richard Wagners Grab aufsuchte und in Haus Wahnfried zu Gast bei Winifred Wagner war. Im Dialog mit Moderator Dr. Achim Jaeger lobte der Autor die klugen Fragen der Schülerschaft vom Vormittag und gewährte weitere Einblicke in seine Arbeitsweise.
So sprach der experimentierfreudige Sprachkünstler, der die deutsche Sprache so virtuos beherrscht wie kaum ein zweiter, auch davon, dass manch unrealistisch wirkende Details im Roman historischen Tatsachen entsprächen, während historisch authentisch Wirkendes bisweilen Fiktion sei. Zudem erfinde er Sprache stets neu, um den zum jeweiligen Werk passenden Ton zu treffen. Das literarische Spiel mit Identitäten, das ihn als Schriftsteller immer wieder reize, habe ihn in „Bewältigung“ in besonderer Weise gefordert.
Die Art des Vortrags, die Intensität der sprachlichen Komposition sowie die Komplexität des Textes beeindruckten die Anwesenden und schufen eine besondere Atmosphäre, in der sich Feridun Zaimoglu auch interessierten Fragen aus dem Publikum stellte. Mit viel Applaus, dem anschließenden Signieren seiner Bücher und weiteren Gesprächen klang dieser denkwürdige Abend aus.
Der Bürgerstiftung Düren und dem Verein der Freunde und Förderer des Stiftischen Gymnasiums gilt Dank für die freundliche Unterstützung der Veranstaltungen. Zu danken ist ebenso der Technik AG unter Leitung von Timo Vaut, die wieder einmal für den guten Ton bei der Lesung garantierte.
Text und Fotos: Dr. Achim Jaeger