Peter Hippe (80) begann seine beiden Vorträge im Leistungs- und Grundkurs Geschichte des Abiturjahrgangs ohne lange Vorrede und legte seinen eigenen Lebensweg schonungslos offen. So habe er, Jahrgang 1942, seinen im Krieg gefallenen Vater nicht kennengelernt und seine Mutter sei im Jahr 1950 ohne ihn in die BRD geflüchtet, als er acht Jahre alt war, sodass er bei seiner Großmutter in Halle an der Saale aufgewachsen sei. Diese frühen Weichenstellungen hätten sogleich zu Benachteiligungen beispielsweise in der Schule geführt, die Zulassung zum Abitur sei ihm aus diesen politischen Gründen verwehrt worden.
So sei bereits sehr früh der Wunsch aufgekommen, zur Mutter in die BRD zu flüchten, was bei einem ersten Versuch im Alter von 16 Jahren gescheitert sei und zu einer ersten Haftzeit in einem sogenannten „Durchgangsheim“, einem Jugendwerkhof, geführt habe. Dort hätten unmenschliche Verhältnisse geherrscht, die Jugendlichen, die nicht nur aus politischen Gründen, sondern zum Teil auch kriminell bis hin zu Totschlägern gewesen wären, sollten sich in nach Geschlechtern getrennten Gruppen „selbst erziehen“. Es habe immer wieder Schikanen gegeben, die u.a. auch zu Zwangstätowierungen durch Mithäftlinge geführt, aber vor allem „Strenge, Härte, Arbeit, keine Schule, keine Ausbildung, nichts!“ bedeutet hätten.
Für Peter Hippe sei schnell klar gewesen, dass er sich aus dieser Extremsituation befreien müsse, sodass er entsprechende Anträge gestellt habe, „alles wieder gutzumachen“ und dadurch von der Staatssicherheit der DDR als „Spitzel“ seiner eigenen Freunde fungieren musste. Diese Situation habe eine tiefe persönliche Krise bei ihm ausgelöst, die mit einem Suizidversuch endete. In der Folgezeit seien ihm seine Frau und sein Sohn eine lebenswichtige Stütze gewesen, sodass er sich über eine erfolgreiche Ausbildung und das durch eine Eignungsprüfung anstelle des Abiturs ermöglichte Bauingenieurstudium eine eigene Existenz in der DDR aufbauen konnte, ohne dabei den starken Wunsch, die DDR zu verlassen, aus den Augen zu verlieren.
Er habe diverse Fluchtmöglichkeiten durchdacht, die durch den Mauerbau 1961 und die Geburt des eigenen Sohnes 1962 erst in den siebziger Jahren wieder konkreter geworden seien und sie wieder verworfen, zum Beispiel das Schwimmen über die Ostsee bis nach Lübeck oder Reiseanträge nach Bulgarien und Ungarn. Er habe sich auf Jobangebote im Ausland beworben, die ihm aber verwehrt blieben, da er für derartige Aufgaben gesperrt gewesen sei und „keine weiße Weste mehr“ habe, wie die etwa 1.100 Seiten dicken Stasi-Akte belegt, die Peter Hippe nach der Wiedervereinigung einsehen konnte.
So habe er keine Alternative zu einem Ausreiseantrag in die BRD gesehen, was erneut zahlreiche Maßnahmen der Staatssicherheit nach sich zog, vor allem die „operative Psychologie“ (Richtlinie I/76), die als „Zersetzung“ vor allem den Menschen psychisch zerstören sollte. Hierbei seien private Autos beschädigt worden, z. B. Radmuttern gelöst, Bremsen manipuliert oder auch Wasser anstelle von Benzin eingefüllt worden, aber auch Gerüchte gezielt eingesetzt worden, um Ehen, Familien und Freundeskreise zu zerstören. Peter Hippe, seine Frau und sein Sohn seien daraufhin mehrfach unter Druck gesetzt und gegeneinander aufgehetzt worden, die Stasi aber gescheitert. „Ich möchte in Freiheit und Demokratie leben!“ habe Peter Hippe der Staatssicherheit geantwortet und auch weiterhin Ausreiseanträge gestellt, insgesamt wären es schließlich 17 gewesen, wie seine Stasi-Akte belege.
Er habe daraufhin seinen attraktiven Job als Bauingenieur in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) verloren und schließlich über den Vater eines Freundes seines Sohnes einen sicheren Job bei der Evangelischen Kirche erhalten, in der er später mitverantwortlich für die Organisation der Friedensgebete in der Marktkirche in Halle (Saale) und in der Nikolaikirche in Leipzig gewesen sei. Auch dort sei die Stasi allgegenwärtig gewesen und die Aktivistengruppe hätte zu Beginn der Friedensgebete immer ans Plenum gerichtet gesagt, dass „die Köpfe der Spitzel rot aufleuchten sollen!“
Er sei sich sicher, dass ihm vor allem seine Bekanntheit im In- und Ausland, u.a. auch Kontakte zum bayrischen Ministerpräsident Franz-Josef Strauß, vor einer Inhaftierung bewahrt hätten, da die DDR insbesondere ab den siebziger Jahren großen Wert auf internationale Anerkennung gelegt und der Umgang mit „Staatsfeinden“ genau beobachtet worden wäre. Immerzu habe eine Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren auf der Grundlage des Paragraphs 214 „Belästigung staatlicher Maßnahmen“ im Raum gestanden.
Schließlich habe er es in der „ständigen Vertretung“ der BRD in Ost-Berlin selbst versucht, dort sei er zwar angehört worden, aber nichts weiter passiert. Er und seine Freunde hätten ihre „letzte Chance“ in der Besetzung der US-amerikanischen Botschaft in Ost-Berlin gesehen, diese geplant und am 20. Juni 1988 auch erfolgreich durchgeführt. In der Folgezeit seien durch Vertreter der ständigen Vertretung der BRD, der US-amerikanischen Botschaft und Rechtsanwalt Wolfgang Vogel auch Straffreiheit und ein positiver Ausreisebescheid erreicht worden.
Das Gefühl der Freiheit beim Eintreffen in der BRD mit dem Zug sei überwältigend gewesen, er habe vor Freude sogar einen Baum umarmt, schildert Peter Hippe emotional und sehr authentisch seine damaligen Gefühle. Wichtig sei ihm heute vor allem eins, jungen Menschen, die in Freiheit und Demokratie großgeworden sind, aufzuzeigen, wie wichtig der Einsatz für unser privilegiertes Leben ist. Peter Hippe hat am 11. März 2022 das „Ehrenabitur“ der bischöflichen St.-Angela-Schule verliehen bekommen, das ihm in der DDR aus politischen Gründen verwehrt wurde – eine späte Wertschätzung, die ihn sehr glücklich und stolz macht. Herzlichen Glückwunsch!
Text und Foto: Kl