Stiftler im Gespräch mit der Zeitzeugin Elite Olshtain sowie Schülerinnen und Schülern aus Nesher (Israel)
Am Nachmittag des 27. Januar 2021 kamen anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktages Jugendliche aus der Stadt Nesher (Israel) und Schülerinnen und Schüler des Stiftischen Gymnasiums in einem Online-Meeting zusammen, um miteinander ins Gespräch zu treten. Nachdem der Bürgermeister der Stadt Nesher Roei Levi ein Grußwort gesprochen hatte, bedankte sich Dr. Thomas Rubel, der auf Dürener Seite das Treffen vorbereitet hatte, auch im Namen des kommissarischen Schulleiters Ulrich Meyer für die Einladung zu der besonderen Veranstaltung mit dem Titel „International Zikaron Basalon“ (Internationales Gedenken im Wohnzimmer), die von Or Mordo, dem Direktor des Youth Department der Stadt Nesher, moderiert wurde.
In Rahmen des virtuellen Treffens berichtete die Zeitzeugin Elite Olshtain aus Jerusalem über das Schicksal ihrer Familie. Die emeritierte Professorin der Hebrew University of Jersusalem wurde 1938 in Czernowitz geboren. Die seinerzeit noch zu Rumänien gehörende, zuvor in Österreich-Ungarn und heute in der Ukraine gelegene Stadt hat eine wechselvolle Geschichte und beheimatete eine große, polyglotte jüdische Gemeinde, in der meist deutsch und jiddisch gesprochen wurde. Seit 1867 waren Juden hier völlig gleichberechtigt, stellten seither auch Bürgermeister, Rektoren und andere wichtige Persönlichkeiten der Stadt. Auch bekannte Schriftsteller wie Paul Celan, Rose Ausländer oder Josef Burg haben hier ihre Wurzeln.
Elite Olshtain skizzierte zunächst die historischen Entwicklungen und Hintergründe, um dann daran anknüpfend Passagen aus ihrem autobiografischen Buch vorzulesen, das im Jahr 2011 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Der Lehmofen. Ein Mädchen aus Czernowitz auf dem Weg nach Israel“ im Berliner Metropol-Verlag erschienen ist. Allein der Gedanke an die Tatsache, dass sie selbst eine Holocaustüberlebende sei, habe in ihr Schuldgefühle erzeugt. Sie habe ihre Geschichte lange verschwiegen und sogar vorgegeben, eine Sabra – eine in Israel Geborene – zu sein. Allerdings sei die Erinnerung stärker gewesen und so habe sie sich schließlich entschieden, die historischen Ereignisse aus der Sicht eines kleinen Mädchens zu erzählen.
Elite Olshtain trug die Texte in englischer Sprache vor und schilderte dabei unter anderem in berührender Weise die Trennung von ihren Eltern, die zur Zwangsarbeit nach Transnistiren deportiert wurden. Ihr Vater sei später zur Roten Armee eingezogen worden, die schließlich am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager in Auschwitz befreite. Sie sei relativ behütet bei den Großeltern aufgewachsen, die in dem Teil der Stadt Czernowitz wohnten, der im Oktober 1941 zum Ghetto deklariert wurde. Erfahrungen mit Ausgrenzung, Antisemitismus, Verfolgung prägten den Alltag in ihrer Kindheit. Doch es sei ihr wichtig, auch aufzuzeigen, dass es Überlebende der Shoah gab und dass die Erinnerung an die Shoah von großer Bedeutung sei. Ihr Buch wende sich an ein jugendliches und erwachsenes Lesepublikum und wolle dabei zum Gespräch und zum Nachdenken über die Generationen hinweg anregen.
In diesem Sinne war die Lesung die Grundlage des sich anschließenden Gesprächs, bei dem sich Jugendliche aus Nesher und Düren in Englisch rege beteiligten. Es wurde zum Beispiel danach gefragt, wann das Thema Holocaust/Shoah oder auch die jüdische Geschichte im Allgemeinen in der Schule behandelt werde, wie jeweils das Gedenken an den Völkermord gestaltet und an den mit Auschwitz verbundenen Zivilisationsbruch gedacht werde. Eine israelische Schülerin berichtete, dass sie schon als Kind mit ihren Großeltern darüber gesprochen habe. Ähnliches konnte von Dürener Seite mitgeteilt werden und ein Schüler berichtete, dass er zum ersten Mal durch die Konfrontation mit der Geschichte der Anne Frank auf den Völkermord aufmerksam geworden sei.
Betont wurde in der Diskussion die Wichtigkeit eines Austauschs über das virtuelle Format hinaus. Deutlich wurde der beiderseitige Wunsch, die bereits seit vielen Jahren bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen Nesher und Düren wieder zu intensiveren. Es wurde angeregt, die Möglichkeit eines weiteren Online-Meetings und auch eines erneuten Jugendaustauschs ins Auge zu fassen, damit in – hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft – auch eine persönliche Begegnung möglich werde. Eine besondere Ehre wäre es, wenn Elite Olshtain ihre Lebensgeschichte auch einmal im Rahmen einer Lesung am Stiftischen Gymnasium vorstellen könnte.
Welch tiefen Eindruck insbesondere die Lesung auf die Jugendlichen machte, wird in dem Dankesschreiben an die Autorin deutlich, das die Oberstufenschüler des Stiftischen Gymnasiums inzwischen auf den Weg gaben. Es stimmt jedenfalls hoffnungsvoll, dass die Jugendlichen nach dem Online-Meeting in Kontakt blieben und sich seither auf verschiedenen Plattformen sozialer Medien austauschen.
Dr. Achim Jaeger