Vermag es die Poesie, das Verlorengegangene wiederzubringen? Was bleibt und was lassen wir zurück, wenn wir gehen? Solcherlei Fragen bildeten den Ausgangspunkt für eine literarische Reise rund um den Globus: vom österreichischen Egg nach Breslau, von Buenos Aires nach Griechenland und aus der Gegenwart in die Zeit des Hesiot. Der vielfach ausgezeichnete Autor Raoul Schrott, der am 12. Juni 2024 bereits zum vierten Mal einer Einladung von Dr. Achim Jaeger ans Stift folgte, hatte diesmal seine neuesten Gedichte im Gepäck.
Er trug auf beeindruckende Weise eine Auswahl seiner Texte vor und erzählte, so wie nur er es kann, von den Hintergründen und Entstehungsgeschichten seiner Lyrik. Raoul Schrott vermochte es, die Anwesenden in seinen Bann zu ziehen und sie in seinen Band „Inventur des Sommers“ einzuführen, der kunstvoll, klug und sinnlich Momente vor Augen führt, die unser Leben ausmachen – ob zu Hause, im Zeitgeschehen oder auf einer Reise zu den Kultstätten der Musen, ob in wahren Geschichten, Totenreden oder Jubelfeiern.
Zwischen Präsentem und Absentem führte der Dichter sein Publikum in literarische Zwischenräume, machte es mit dem Leben des David Allendo und desjenigen einer Lykanthropin, also einer Frau, die sich als Katze fühlt, bekannt, führte es in eine bolivianische Minenstadt und schließlich mit dem geflügelten Dichterross Pegasus in die Landschaften Böotiens und zum Helikon, zu den Musen. Er sei immer wieder ins Musental zurückgekehrt, um die vielen Quell-, Fels- und Baumheiligtümer Anatoliens zu besuchen, so der Autor.
Kenntnisreich erläuterte Raoul Schrott die ursprüngliche Bedeutung der Musen, denen die Helenen schließlich Apollon voranstellten, wodurch sie im Grunde degradiert worden seien. In seinem lebendigen Vortrag vermittelte Raoul Schrott seine facettenreiche Ars Poetica, gab Impulse zum Nachdenken, zum Wechsel der Perspektive. Die Themen der ausgewählten Gedichte waren dabei vielfältig: Die Schrecken des Krieges und dessen lokale Wirkungen kamen zur Sprache, ebenso zu hören war etwa eine Hommage an H. C. Artmann, verbunden mit Grüßen an eine unbekannte Tischnachbarin und eine Würdigung hoher Geburtstage.
Es war ein besonderer literarischer Abend, an den die Besucher der Lesung gerne zurückdenken werden. Die Veranstaltung wurde freundlich unterstützt vom Verein der Freunde und Förderer des Stiftischen Gymnasiums und von der Bürgerstiftung Düren.