Der Musiksaal des Stiftischen Gymnasiums war bis auf den letzten Platz gefüllt, als die Schriftstellerin Iris Wolff am 5. März 2024 herzlich von Dr. Achim Jaeger begrüßt wurde. Er stellte die Autorin dem Publikum kurz vor, wobei auch ihr vielfältiges Werk in den Blick geriet, das auf einem Büchertisch präsentiert wurde. Für ihr literarisches Schaffen erhielt Iris Wolff bereits zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
Nach „Halber Stein“ (2012), „Leuchtende Schatten“ (2015), „So tun, als ob es regnet“ (2017) und „Die Unschärfe der Welt“ (2020) liegt also nun also das aktuelle Buch „Lichtungen“ vor, welches seit Erscheinen für viel Aufsehen sorgt. In dem einführenden Gespräch zur Lesung kam unter anderem eine Textstelle zur Sprache, an der es heißt: „Erinnerungen waren in der Zeit verstreut wie Lichtungen. Man begegnete ihnen nur zufällig und wusste nie, was man darin fand.“
Als Leser stoße man tatsächlich immer wieder auf Überraschendes, meinte Moderator Dr. Achim Jaeger und berichtete, wie er selbst im Roman auf eine solche Lichtung gestoßen sei und dabei in den beinahe zeitlos und unbestimmt wirkenden Handlungsorten den im Banat gelegenen Kurort Buziaș wiedererkannte. Das literarische Spiel mit Details und Freiräumen, das den Roman zu einer ganz besonderen Lektüre werden lässt, nahm Iris Wolff zum Anlass, auf ihre persönliche Art des Schreibens, auf die Formung eines sprachlichen Kunstwerks einzugehen, wobei auch die jedem Kapitel vorangestellten Seiten, welche als Motto fungierende Texte in unterschiedlichsten Sprachen darbieten, Erwähnung fanden.
Fragen von Identität und Zuschreibung beschäftigen Iris Wolff ebenso wie Klangfarben und sprachliche Bilder. Immer wieder tauchen derlei Motive in der Geschichte von Kato und Lev auf, die in einem Dorf in Siebenbürgen beheimatet sind. Dabei sind die „roten Fäden“ der Geschichte manchmal sichtbar, wobei sie wieder verschwinden, um an anderer Stelle von der Unterseite des Textes wieder aufzutauchen. Ab und zu blitzt auch das Rumänische, die Sprache der Kindheit, auf, denn die Autorin wurde 1977 in Hermannstadt, Siebenbürgen (Rumänien) geboren.
Iris Wolff lässt ihren Roman ebenso in Siebenbürgen, in der Maramureș und im Banat spielen wie in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Es ist somit ein europäischer Roman, der subtile Fragen aufwirft und der Leserschaft kombinatorische Fähig- und Fertigkeiten abverlangt. Dies, zumal die Geschichte rückwärts erzählt wird, was für die Autorin nach eigenem Bekunden beim Schreiben eine besondere Herausforderung darstellte, denn sie wusste lange nicht, wie ihre Geschichte anfängt oder endet.
In eindrucksvollen Bildern und poetischer Sprache erzählt Iris Wolff die Geschichte von Lev und Kato. Beide kennen sich seit Kindheitstagen und es besteht eine besondere Verbindung zwischen ihnen. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs bricht Kato in den Westen auf und schreibt selbst gezeichnete Postkarten aus ganz Europa an Lev, der in Rumänien bleibt. Eines Tages erreicht ihn eine Karte aus Zürich, auf der nur ein einziger Satz steht: „Wann kommst du?“
Lev macht sich auf den Weg, begleitet die Straßenmalerin Kato auf ihren Reisen. Der Roman zeichnet das Porträt einer berührenden Freundschaft, wobei sich der Text Kapitel für Kapitel als Reise in die Vergangenheit offenbart: „Es war und es war nicht“, heißt die Überschrift von Kapitel „Neun“, das am Anfang des Romans steht, der mit Kapitel „Eins“ endet. Der Zauber der Sprache, die poetische Art des Erzählens, all dies versetzte das aufmerksame Dürener Publikum an diesem besonderen Abend in eine außergewöhnliche Stimmung. Iris Wolff las die von ihr ausgewählten Stellen so eindrücklich, dass eine positive Spannung im Raum spürbar war und am Ende noch um eine Zugabe gebeten wurde.
Zum Ausklang des Abends nahmen Moderator und Autorin das literarische Gespräch noch einmal auf. Diesmal ausgehend von der Frage, ob die Welt der Märchen und Mythen eine besondere Rolle bei der Ausgestaltung von Erzählmotiven spiele. Denn gegen Ende des Buches, im zweiten Kapitel, wird beispielsweise erzählt, dass in einem Kino die Verfilmung des in Rumänien sehr bekannten Märchens „Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod“ gezeigt werde. Märchenmotive, sowie Naturbilder und -symbole, etwa der Wald sowie verschiedene Tiere, insbesondere Vögel, seien für sie wichtige Elemente des Erzählens, stellte die Autorin fest.
Kato, die früh versucht, der Enge ihres Elternhauses zu entkommen, ist beseelt von einem großen Freiheitswillen. Malen wird ihr Zugang zur Welt, wobei sie von einem gewissen Camil unterstützt wird. Für Camil, so heißt es im Roman, der auch vom Gehen, Weggehen und (Nicht-)Ankommen handelt, „war die Amsel ein Buchstabe Gottes, reine Form, reiner Ton, Hingabe. Ein flüchtiger Buchstabe, der außerhalb des Alphabets stand. Würde ein Dichter über jenen Buchstaben verfügen, würde er alles übertreffen, was es in der Literatur gab.“
Mit interessanten Einblicken in die Werkstatt des Schreibens endete die Veranstaltung, die von der SWD Kulturstiftung und vom Verein der Freunde und Förderer des Stiftischen Gymnasiums Düren unterstützt wurde. Es nutzten viele Leserinnen und Leser die Gelegenheit, sich Bücher von der Autorin signieren zu lassen und weiter mit ihr ins Gespräch zu kommen.