Es war ein wunderbares Erlebnis, als Hartmut Lange am 12. März 2019 am Stiftischen Gymnasium Texte aus seinem Novellenband „Das Haus in der Dorotheenstraße“ las, dessen fünf Geschichten zumeist im Südwesten Berlins spielen und von unerhörten, unerklärlichen Begebenheiten erzählen. Der renommierte Autor war aus Berlin angereist, um in Düren zunächst am Nachmittag mit Schülerinnen und Schülern eines Leistungskurses Deutsch über seine schriftstellerische Tätigkeit zu sprechen. Hartmut Lange, der auch als Dramatiker seinen Platz in der deutschen Literaturgeschichte hat und als Philosoph hervorgetreten ist, arbeitete in der Diskussion gemeinsam mit den Jugendlichen heraus, dass die Rezipienten wesentlich für die Wirkung von Literatur verantwortlich seien. Auch Fragen zu Motiven und der Konzeption seiner Novellen beantwortete er gerne.
Am Abend folgte in der sehr gut besetzten Aula eine öffentliche Lesung im Rahmen der Reihe „Lesung und Gespräch“, zu der Deutschlehrer Dr. Achim Jaeger den bemerkenswerten Autor eingeladen hatte. Der Moderator dankte der Bürgerstiftung Düren und dem Verein der Freunde und Förderer des Stiftischen Gymnasiums e.V. (VFF) für die freundliche Unterstützung der Veranstaltung und stellte den zahlreichen Zuhörern den 1937 in Berlin geborenen Schriftsteller vor: Nachdem Hartmut Lange 1960 eine Anstellung als Dramaturg am Deutschen Theater in Ostberlin erhalten hatte, verließ er fünf Jahre später die DDR. Er ging nach Westberlin, arbeitete für die Schaubühne am Halleschen Ufer, für die Berliner Staatsbühnen sowie am Schiller- und am Schlosspark-Theater.
Seit 1982 schreibt Hartmut Lange, der bereits vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde, vornehmlich Erzählungen und Novellen, die durch ihre stilistische Qualität bestechen. Er gilt als „Meister der Novelle“, wovon etwa „Die Waldsteinsonate“(1984), „Das Konzert“ (1986) und auch „Das Haus in der Dorotheenstraße“ (2013) zeugen. In der titelgebenden Novelle wird erzählt, wie das geordnete Leben des Berliner Ehepaars Klausen nach einer berufsbedingten Versetzung des Protagonisten nach London dramatische Wendungen nimmt. Durch die Wirklichkeit schimmert immer wieder das Unheimliche. Thematisiert werden Geheimnisse menschlicher Existenz, wobei die reduzierte und raffinierte sprachliche Gestaltung des Textes dem Leser Interpretationsräume öffnet.
Auch in der Novelle „Die Cellistin“ gelingt es dem Autor auf wenigen Seiten, den Leser in den Bann zu ziehen, wenn ein Mann eine längst verstorbene Cellistin in einem Waldstück nördlich des Griebnitzsees spielen hört und man dabei sowohl an die Lorelei als auch an die unvergessene britische Cellistin Jaqueline d Pré erinnert wird, die 1987 im Alter von nur 42 Jahren verstarb. Sie war 1973 an Multiple Sklerose erkrankt und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich schließlich so, dass sie nicht mehr musizieren konnte. Hartmut Lange, der der berühmten Cellistin mit seinem Text ein berührendes Denkmal setzt, las die Novelle ebenso eindrücklich vor wie die Geschichte von „Emilys Schatten“ aus dem neusten Novellenband „An der Prorer Wiek und anderswo“ (2018).
Hier steht eine französische Schülerin aus Lille im Mittelpunkt, die nach erlittenem Mobbing ihrem Leben ein Ende setzt. Der Fall beruht auf einer wahren Begebenheit. Die Zuhörer, unter ihnen zahlreiche Schülerinnen und Schüler, waren tief berührt und nutzen die Gelegenheit, nach der Lesung mit Hartmut Lange ins Gespräch zu treten. Im Laufe des Abends, der zu weiterer Lektüre und zum Nachdenken anregte, wurde unter anderem klar, welch große Bedeutung die Musikalität der Sprache für den Autor beim Schreiben spielt.