Drei Wochen in einem kleinen chinesischen Dorf – Eintauchen in eine andere Lebenswelt

2.12.2018 | Austausch, Jinhua, Projekte

Mein Aufenthalt in China ist nun schon drei Monate her und doch sind meine Erinnerungen an diese unvergesslichen drei Wochen teilweise noch so lebhaft, als wäre ich gerade erst aus dem Reich der Mitte zurückgekehrt. Doch zunächst einmal: Wie kam es eigentlich zu diesem in manchen Ohren vielleicht nach einem großen Wagnis klingenden Erlebnis, sich für knapp drei Wochen allein als frisch gebackene Abiturientin ans andere Ende der Welt in eine vollkommen unbekannte Lebenswelt zu begeben?

Ursprünglich war es mein Plan, am Schüleraustausch unserer Schule teilzunehmen, um meiner Neugier, neue Menschen und Kulturen kennenzulernen, nachzugehen. Da sich meinem Jahrgang diese Möglichkeit allerdings nicht bot, schlug Herr Bünten mir die Teilnahme am so genannten „Jinhua Homestay Project“ vor. Doch was kann man sich darunter vorstellen? Im Rahmen dieses Projekts verbringen ein- bis zweimal jährlich zwischen 50 und 70 junge Leute aus der ganzen Welt gemeinsam drei Wochen in einem kleinen Dorf in der Provinz Zhejiang im Osten von China, südlich von Shanghai gelegen. Ziel dabei ist es, einerseits für die Teilnehmer einen authentischen Eindruck vom traditionellen Leben und den Bräuchen, von den kulturellen Eigenheiten und insgesamt vom alltäglichen Leben der chinesischen Bevölkerung zu erlangen.

Hierzu bietet das Projekt uns als Teilnehmern innerhalb der drei Wochen eine Vielzahl von Ausflügen zu regionalen Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten, die dazu dienen, das Land und seine Leute und Traditionen kennenzulernen. Andererseits ist das Ziel von chinesischer Seite, die kleinen, traditionellen Dörfer durch dieses Projekt zunächst regional und national und später dann auch international bekannt zu machen, aufzuwerten und sie durch die Schaffung touristischer Infrastruktur später als „Die historischen Dörfer Jinhuas“ als neue Touristenmagnete zu etablieren.

Schon einen Tag nach meiner Ankunft in Shanghai, startete das Projekt am Flughafen mit einem Interview zu unseren ersten Eindrücken von Land und Leuten. Doch dieses sollte – wie ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht ahnte – bei weitem nicht das Letzte bleiben. Abends erreichten wir dann nach ein paar Stunden Busfahrt schließlich das kleine Dorf Songxi, in dem wir die nächsten drei Wochen verbringen sollten. Und was uns da erwartete, war einfach atemberaubend: Mit dem Aussteigen aus dem Bus empfingen uns Teilnehmer eine laut ertönende traditionelle Musikgruppe, die uns gefolgt von einem Schwarm an Kamera- und Journalistenteams und begleitet von über uns fliegenden Drohnen auf einen der Hauptplätze des Dorfs geleiteten.

Dort wiederum durften wir Zuschauer einer eindrucksvollen Drachenkostümperformance werden, die von einigen Kindern des Dorfs vorbereitet worden war. Nach der offiziellen Begrüßung wurden wir dann unseren Gastfamilien zugeteilt, bei denen wir mit vier bis zehn weiteren Teilnehmern für die Zeit des Projekts wohnten und die für unsere Verpflegung zwischen den Programmpunkten sorgten. Beim gemeinsamen aufwändig vorbereiteten Dinner in den Familien konnte man dann auch endlich seine (beim ein oder anderen vielleicht noch nicht vorhandenen) Fertigkeiten beim Essen mit Stäbchen unter Beweis stellen. Ein paar Essversuche und Interviews später war der erste Tag dann auch schon zu Ende und mit tausend Eindrücken und Gedanken versuchte ich bedingt durch den Jetlag minder erfolgreich in den Schlaf zu finden.

Doch diese Fülle an Eindrücken, die man innerhalb nur eines Tages sammelte, sollte auch in den nächsten Tagen nicht großartig zurückgehen. Nachdem die ersten Tage noch vielem Organisatorischen, dem Kennenlernen, Einfinden und Einteilen der Projektgruppen dienten, starteten wir dann richtig in das Projekt. Dabei nahm die Arbeit in den fünf verschiedenen Projektgruppen, aus denen wir uns zuvor für eine entschieden haben, einen nicht kleinen Teil unserer Projektzeit in Anspruch. Thematisch reichten diese von der Vermarktung regionaler Produkte im Online-Handel in der E-Commerce Gruppe, in der ich mitgearbeitet habe, über journalistische Arbeit für Social Media bis hin zur größten Projektgruppe, der „Landscape Design Group“, deren Ziel es war, mit der Entwicklung von „Rätselpfaden“, die durch das gesamte Dorf führten, den späteren Touristen die Geschichte des Dorfs näherzubringen.

Doch abgesehen von der Projektarbeit lernten wir innerhalb der drei Wochen im Rahmen verschiedenster Aktivitäten, die teils im Dorf selbst stattfanden, für die wir aber auch zum Teil in die nähere Umgebung fuhren, die chinesische Kultur und deren Traditionen ein Stück weit kennen. Zum Beispiel durften wir während der drei Wochen an Tai Chi und Kalligrafie Kursen, zwei sehr traditionellen chinesischen Aktivitäten, teilnehmen. Bei der „Folklore activities“, worunter ich mir zunächst ehrlicherweise auch nicht allzu viel vorstellen konnte, wurden uns verschiedenes traditionelles, chinesisches Handwerk vorgeführt. Beim „Chinese Valentine´s Day“, der zufälligerweise in unsere Projektzeit fiel, lernten wir, wie dieser Tag in China zelebriert wird.

Den Höhepunkt des Projekts stellte die Gala dar. Dieses große Ereignis wurde live im chinesischen Fernsehen ausgestrahlt. Dabei traten einige von uns Teilnehmern in zwei Quizgruppen gegeneinander an und beantworteten Fragen über die chinesische Kultur und andere waren in den verschiedenen Tanzgruppen selbst Teil der Gala. Mein persönliches Highlight war ein Ausflug in die knapp 10 Millionen Einwohner zählende Stadt Hangzhou. Hier stand nun ein bisschen klassisches „Touri-Programm“ an. Doch auch dabei lernte man einiges über chinesische Kultur und Geschichte, zum Beispiel beim Besuch einer sehr eindrucksvollen ehemaligen Residenz eines wohlhabenden Geschäftsmannes.

Was den meisten Teilnehmern wohl jedoch am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben sein wird, war die ständige Begleitung der „Media-Teams“. So durfte man gut und gerne zu jeder Kleinigkeit, die gerade stattfand, ein Interview für die Presse geben. Ich wurde beispielsweise einmal gebeten, ein Interview über den Herstellungsprozess einer chinesischen Speise zu geben, bei der im Wesentlichen nichts anderes passierte, als sie in einem großen Kessel umzurühren. So kann man vielleicht ahnen, dass manche die ständige mediale Begleitung hin und wieder auch als etwas störend und nervig empfanden. Allerdings stellten sich die meisten dann doch mit verständnisvoller Bereitwilligkeit den Journalisten gegenüber, die schließlich auch nur ihren Job machten, einem weiteren von unzähligen Interviews. Der ein oder andere kann nun vielleicht nachvollziehen, wie sich mancher Hollywoodstar manchmal fühlt.

Schließlich gilt es aber noch eines zu sagen: Die Chinesen sind ein ausgesprochen gastfreundliches und hilfsbereites Volk, das mich herzlich und mit offenen Armen empfangen und aufgenommen hat. Und dabei sind schon nach drei Wochen Bekanntschaften und Freunde über die Kontinentalgrenzen hinaus, vielleicht für das ganze Leben, entstanden. So wurden gegen Ende schon die ersten Pläne für Rückbesuche in Deutschland geschmiedet.

Doch welche der unzähligen Eindrücke sind nunmehr drei Monate später eigentlich diejenigen, die am stärksten hängen geblieben sind? Ich nehme aus meiner Zeit im Reich der Mitte insbesondere eines mit: Neben all den Eindrücken über Kultur und Bräuche haben mir die drei Wochen in China rückblickend vor allem eine ganz andere Sichtweise auf das chinesische Volk und auch das, was hier hin und wieder politisch durch die Medien über China berichtet wird, eröffnet. So ist es mir, denke ich, schon in Ansätzen nach dieser kurzen Zeit gelungen, vieles, auf das hierzulande oftmals mit Unverständnis reagiert wird, aus ganzen anderen Augen zu sehen und vielleicht etwas besser zu verstehen. Ich kann daher nur jedem empfehlen, jede Möglichkeit wahrzunehmen, das Land, die Leute und die Kultur auf so unmittelbarem und direktem Weg kennenzulernen.

Kathrin Rau (Abiturjahrgang 2018)

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