Am 4. November 2012 erhielt Michael Lentz den Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen. Der 1964 in Düren-Birkesdorf geborene Schriftsteller und Musiker, der nach seinem Abitur am Stiftischen Gymnasium Germanistik, Geschichte und Philosophie studierte und seine akademische Ausbildung mit einer Promotion zum Thema „Lautpoesie/-musik nach 1945“ abschloss, lebt heute in Berlin und ist seit 2006 als Professor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig tätig, wo er den Lehrstuhl für literarisches Schreiben innehat und auch Präsident der Freien Akademie der Künste ist.
Der Vorsitzende der Walter Hausenclever-Gesellschaft, Prof. Dr. Jürgen Egyptien, begrüßte den Preisträger sowie dessen Familienangehörige im Ballsaal des Alten Kurhauses ebenso wie die zahlreichen Gäste, darunter auch der Dürener Bürgermeister Paul Larue, Mitglieder des Dürener Stadtrates und des Stiftischen Gymnasiums. Der Bürgermeister der Stadt Aachen, Marcel Philipp, richtete sich zunächst mit einem offiziellen Grußwort an die anwesenden Literaturfreunde, bevor Professor Dr. Stephan Porombka (Universität Hildesheim) eine denkwürdige Laudatio auf Michael Lentz hielt und dabei mit großer Umsicht und Witz dessen facettenreiches literarisches Werk als Erzähler, Lyriker, Herausgeber und Literaturwissenschaftler würdigte.
Ausgehend von dem Band „Muttersterben“ (2002) wurde hierbei ein Bogen geschlagen von dem ersten Lyrik- und Prosaband „zur kenntnisnahme“( 1985), der seinerzeit anlässlich einer Lesung im Dürener Leopold Hoesch Museum erschien, über Lautpoesie und experimentelle Texte, die in Publikationen wie „Oder“ (1998) „Neue Anagramme“ (1998), und „Ende gut. Sprechakte“ (2001) nachzulesen und zu hören sind. Der Vortragskünstler Michel Lentz, der bei Lesungen als Performancekünstler stets außerordentliche Qualitäten unter Beweis stellt und als Lautpoet seine Texte immer wieder auch in Zusammenarbeit mit avantgardistischen Musikern auf die Bühne bringt und dabei einen eigenen Sound erzeugt, versteht sein Schreiben als experimentellen Prozess. Für sein Werk erhielt der Autor bereits zahlreiche Anerkennungen, so etwa den „Preis der Literaturhäuser“ (2005). Bereits 2001 war er für „Muttersterben“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet worden. 2003 erschien der Lyrikband „Aller Ding“. Die Bandbreite des literarischen Schaffens, wie sie in den Romanen „Liebeserklärung“ (2003) und „Pazifik Exil“ (2007) vor Augen tritt, wusste der Laudator dem Publikum anschaulich zu vermitteln.
Als kundiger Grenzgänger zwischen den literarischen Welten der Lautpoesie, der Liebeslyrik („Offene Unruh. 100 Liebesgedichte“, 2010) oder des Dramas – Theaterstücke wie „Gotthelm oder Mythos Claus“ (2007) oder „Warum wir also hier sind“ (2009) sind hier zu nennen – stellt sich der ideenreiche Autor immer wieder neuen Herausforderungen. Die Gelehrsamkeit, die in seinen anspielungsreichen Texten zum Ausdruck kommt, reflektiert der jüngst vorgelegte Band „Textleben“ (2011), der Essays und Poetikvorlesungen enthält, in denen der Literaturwissenschaftler als Interpret namhafter Autoren der Moderne hervortritt und auch als Kommentator eigener Texte.
Nach der feierlichen Überreichung der Urkunde wandte sich der über die Ehrung hoch erfreute Michel Lentz in seiner Dankesrede dem Leben und Werk Walter Hasenclevers (1890- 1940) zu. War dieser 1917 noch mit dem renommierten Kleist-Preis ausgezeichnet, so wurden seine Werke, darunter die erfolgreichen Stücke „Der Sohn“ (1914) und „Ein besserer Herr“ (1926), von den Nationalsozialisten verboten. Der Schriftsteller ging als einer der ersten Intellektuellen, die auf den Todeslisten der Nationalsozialisten standen, ins Exil nach Südfrankreich und nahm sich im Juni 1940 im Internierungslager „Camp Les Milles“ bei Aix-en-Provence das Leben. Am Ende seiner Ausführungen, die in einer intensiven Auseinandersetzung mit den Werken Hasenclevers wurzelten, forderte Michael Lentz, der ja in seinem Roman „Pazifik Exil“ von den Flucht- und Exilgeschichten von Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Franz Werfel erzählt, die baldige Herausgabe eines neuen „Walter-Hasenclever-Lesebuches“, welches die wichtigsten Texte, die heute zum Teil nicht mehr leicht greifbar sind, enthalten sollte. Für die musikalische Gestaltung des Festaktes sorgte die Klarinettistin Regina Pastuszyk mit ihren meisterhaften Improvisationen.
Am Tag nach der Preisverleihung, am Montag, den 5. November 2012, gingen Schüler des Einhard-Gymnasiums, an dem 1908 Walter Hasenclever sein Abitur absolviert hatte, mit Michael Lentz auf eine literarische Reise. 18 Kurse hatten sich unter dem Motto „Sprich, damit ich dich sehe!“ produktiv mit Texten des diesjährigen Hasenclever-Literaturpreisträgers auseinandergesetzt.
In Form einer Bahnfahrt mit zahlreichen Stationen präsentierten Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen in beeindruckender und fantasievoller Weise, wie sie sich spielerisch und kritisch mit der Sprache beschäftigt hatten: Gedichte wurden auf die Leinwand gezaubert, in Filmsequenzen verwandelt oder als Songs oder Poetry-Slam-Beiträge in Szene gesetzt. Jana Müller und Paulina Nolden, die gemeinsam mit Dr. Achim Jaeger stellvertretend für den Leistungskurs Deutsch (Q2) an der Veranstaltung teilnahmen, zeigten sich beeindruckt davon, was die Aachener Schüler an Ideen gesammelt hatten. Seite einigen Jahren bestehen zwischen dem Stiftischen Gymnasium und dem Einhard-Gymnasium Kontakte über eine Zusammenarbeit in einem „Denkwerk-Projekt“ der Bosch Stiftung. Am Ende der Zugfahrt im ICE „Lentz-Lesen-Live“ wurde der Ehrengast Michael Lentz noch von verschiedenen Schülern interviewt und es entwickelte sich ein munteres Gespräch über die Macht der Sprache, Sprachwandel, den Einfluss neuer Medien und immer neue Ausdrucksmöglichkeiten.